Der erste Konferenztag im spektakulären Kopenhagener Opernhaus wurde von Kasper Holten, dem Geschäftsführer, eröffnet. Seine Eröffnungsrede war eine zum Nachdenken anregende und geistreiche Präsentation seiner Sicht der Herausforderungen, die der Betrieb eines Opernhauses heutzutage mit sich bringt. Wie können wir mit anderen Kunst- und Unterhaltungsformen konkurrieren, von denen viele während der 400-jährigen Geschichte der Oper nicht einmal existierten? Wie sollten wir verschiedene Gruppen in einer sich verändernden Gesellschaft ansprechen? Wie kann man eine Institution in einem schwierigen Umfeld so führen, dass sie finanziell stabil und effizient bleibt? Kaspers Rede war ein perfekter Auftakt für das diesjährige Programm, das sich um die große Frage dreht: Wie sollen Opernmanager ihre "Schiffe" durch unruhige Gewässer steuern?
“Wünsch Dir was, damit du mehr neue Oper machen kannst’, forderte die Moderatorin Hannah Griffiths die Redner:innen der ersten Sitzung auf, die sich dafür einsetzten, dass Opern sensibler und relevanter für die heutige Zeit und ihre Herausforderungen werden. Dazu gehört, dass in den kommenden Jahren viele neue Stellen geschaffen und vielversprechende Künstler:innen hervorgebracht werden, die eine erfolgreiche Karriere machen können, während gleichzeitig die Zusammenarbeit und die Verbindung zum Publikum gefördert werden. Hierfür braucht es Unterstützung, Mentoring bei den ersten Schritten in der Branche, und es wird ein kreativitätsförderndes Umfeld sowie Zeit und Raum zur Entfaltung benötigt. Wir alle sollten uns bemühen, Arbeitsplätze zu schaffen, die Experimente und Risikobereitschaft zulassen und in denen sich Künstler:innen ohne Angst vor dem Scheitern voll entfalten können. Im Hinblick auf die Publikumsentwicklung werden die Häuser ermutigt, neue Produktionen von kleineren Bühnen auf ihre Hauptbühnen zu verlagern und sich von der Sicherheit der traditionellen, bekannten Opern zu lösen. Dieses Umdenken, von "ein Publikum bekommen" zu "ein Publikum aufbauen", ist wesentlich.
Parallel dazu fand an den ersten beiden Konferenztagen das Forum Technik und Produktion statt. Technische Leiter:innen diskutierten über die Herausforderungen bei der Planung und Finanzierung von Renovierungen, technischen Änderungen und Umbauten in ihren Häusern. Sie versuchten, das Gleichgewicht zwischen effizienter Produktion und Ressourcenkomprimierung zu definieren, und setzten sich mit der Diversität in technischen Teams auseinander. Dieser Teil der Konferenz beinhaltete eine faszinierende Führung durch den beeindruckenden Backstage-Bereich des Hauses.
Die erste Sitzung am zweiten Tag der widmete sich der nachhaltigkeitsorientierten Transformation. Was ist eines der brennendsten Themen für Opernhäuser weltweit? Die finanziellen Auswirkungen der steigenden Energiekosten und nachhaltige Produktionsentscheidungen. Die Theater suchen nach innovativen Wegen, um ihren Stromverbrauchs zu senken und erzielen erste Erfolge. Die Situation der Häuser hängt von der Energieversorgungsstruktur ihres Landes ab, z. B. vom Verhältnis zwischen fossilen Brennstoffen und erneuerbaren Energien (Frankreich vs. Schweden). Zu den Ideen für die Bewältigung solcher Herausforderungen gehörten technische Innovationen für die Gebäude sowie Partnerschaften mit öffentlichen Einrichtungen und Energieversorgern.
Leider sehen sich immer mehr unserer Mitglieder mit schwierigen Kürzungen konfrontiert und müssen gleichzeitig um öffentliche Unterstützung werben - diese Diskussion wurde hitzig geführt. Alle waren sich einig, dass eine gezieltere Interessenvertretung eine gute Strategie für solche Herausforderungen wäre, was sich mit der jüngsten Entscheidung von Opera Europa deckt, einen entsprechenden Ausschuss zu gründen.
Wer sind die jungen Menschen, die sich für eine Laufbahn in der Oper entscheiden, und welche Art von Ausbildung sollte ihnen angeboten werden? Wie können Nachwuchsförderprogramme aktiv die Nachhaltigkeit der Oper sichern? Im Rahmen eines World Café für Opernstudios und Young Artist Programmes wurden Perspektiven von Nachwuchskünstler:innen selbst und von Häusern mit eigenem Studio eingeholt. Am wichtigsten ist es, ein sicheres Umfeld zu schaffen, in dem Künstler:innen sich ausprobieren, experimentieren und Fehler machen können. Vorsingen sollten so gestaltet sein, dass genügend Zeit zum Kennenlernen der Künstler bleibt und gleichzeitig Vielfalt und Integration berücksichtigt werden. Mentoring und kontinuierliche Kontakte zu Künstlerinnen und Künstlern nach Abschluss ihrer Ausbildung sind von entscheidender Bedeutung; die Teilnehmenden sollten zur Mobilität zwischen verschiedenen Opernhäusern ermutigt werden. Eine der Empfehlungen besagt, dass Opera Europa auch als Ressource und Unterstützungsnetzwerk für Nachwuchskünstler:innen fungieren könnte.
Sind Wettbewerbe ein unterschätzter Partner für die Zukunft der Oper? Die Referent:innen bezeichneten sie als "notwendiges Übel", einerseits eine gute Möglichkeit für die Teilnehmenden, an Sichtbarkeit zu gewinnen: Wettbewerbe wurden ins Leben gerufen, um jeder:m die Möglichkeit zu geben, mit der Branche in Kontakt zu kommen. Durch die sozialen Medien ist diese Notwenigkeit nicht mehr so dringend gegeben. Da der Wettbewerb in der Kunst rein subjektiv ist, kann es einen einheitlichen Test geben, wie die Lieder darzubieten sind? Anstatt einen Warnhinweis vor dem Wort "Wettbewerb" zu benötigen, darf die Erfahrung eine Bereicherung werden.
Die Kosten für Opernproduktionen sind gestiegen, insbesondere nach der Pandemie. Opernhäuser und Theater auf der ganzen Welt mussten in dieser Zeit verheerende Verluste und finanzielle Belastungen hinnehmen. Eine weitere Sitzung befasste sich mit der derzeitigen Phase der Erholung und der aktiven Suche nach alternativen Einnahmequellen, um die langfristige Finanzierung zu gewährleisten. Dazu gehören die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsführern, die Pflege von Beziehungen zu Freunden und Förderern und die Erschließung neuer Möglichkeiten. Um die Attraktivität der Opernhäuser für Investorinnen und Geschäftspartner zu erhöhen, sollten Frische und Innovation der Projekte ein Schlüsselfaktor sein. Die Aufrechterhaltung langfristiger Partnerschaften mit diesen Kooperationspartnern ist von entscheidender Bedeutung. Dies kann erreicht werden, indem man sie regelmäßig zur Teilnahme einlädt, die Projekte so anpasst, dass sie involviert bleiben, und ausreichend Zeit und Management investiert, um ihr gemeinsames Interesse an der Kunst als Mittel zur Bereicherung der Gesellschaft zu verwirklichen. Die Häuser senken auch ihre Kosten durch Koproduktionen und Vermietungen und finden neue Einnahmequellen in den Bereichen Merchandising, Führungen, Sonderveranstaltungen und gastronomische Angebote.
Die Abendvorstellung von Don Giovanni an der Oper Malmö, dem formvollendeten Gastgeber des letzten Konferenztages, war die perfekte Gelegenheit, die Sitzungen des KBB-Forums mit einer Diskussion über Geschlechter- und Rassenstereotypen in der Oper zu eröffnen. Die Sopranistin Natasha Agarwal erinnerte das Publikum daran, dass die Besetzung von Rollen mit einem bestimmten Typus nicht sinnvoll ist und dass Sänger:innen of colour die Möglichkeit haben sollten, alle Rollen zu spielen. Auch wenn es wunderbar ist, die eigene Kultur durch die Oper zu repräsentieren, kann dies nicht der einzige Raum sein, in dem ein:e Sänger:in of colour existieren kann. Einer der wichtigsten Punkte der Diskussionsrunde war die Erkenntnis, dass sich Vielfalt nicht nur auf die Besetzung von Rollen beschränken sollte - die Personen, die die kreativen Entscheidungen treffen, sollten mit den Kulturen, die in den Produktionen vertreten sind, gut vertraut sein, da Stereotypen oft auf unzureichendem Verständnis beruhen. Es geht nicht um richtige oder falsche Entscheidungen: Es geht um den Dialog. „Nichts an der Oper ist besonders realistisch, daher kann man die Besetzung nicht mit Film und Fernsehen vergleichen, wo von den Familien erwartet wird, dass sie sich ähnliche sehen; auf der Bühne müssen wir darauf vertrauen, dass das Publikum seine Vorstellungskraft einsetzt“, erklärte Natasha dem applaudierenden Publikum.
Bei der Veranstaltung über ein sicheres Produktionsklima ging es vor allem um den Einsatz und die Vorteile eines Verhaltenskodex für Gäste und Mitarbeitende. Ein formeller Verhaltenskodex ist eine Möglichkeit, die Verpflichtung zum Ausdruck zu bringen, dass alle Involvierten mit Würde und Respekt behandelt werden. Einige Häuser stellen ihren Verhaltenskodex dem Personal vor, indem sie ihn mündlich erläutern, z. B. zu Beginn einer Probezeit, oder indem sie ein Dokument vorlegen, das zu Beginn des Arbeitsverhältnisses zu unterzeichnen ist. Die Häuser, die an der Podiumsdiskussion teilnahmen, bieten ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, unangemessenes Verhalten über anonyme Meldungen zu melden. In der Diskussion waren sich viele Teilnehmende einig, dass es sinnvoll sein könnte, eine Definition für verantwortungsbewusstes Verhalten zu erarbeiten, damit allen klar ist, welche Werte das Haus anstrebt: Integrität, Ehrlichkeit, Wertschätzung, Respekt, Höflichkeit, Inklusivität, Fairness und Kreativität mit Gestaltungsspielraum wurden genannt. Es sollte jedoch bedacht werden, dass Konflikte, die auf arbeitsbezogene Entscheidungen oder Interpretationen zurückzuführen sind, und dass gerechtfertigte disziplinarische Maßnahmen nicht als unangemessenes Verhalten betrachtet werden sollten.
Als nächstes ging es um die Produktion mit einem Intimitätskoordinators für heikle Szenen, die Nacktheit, sexuelle Aktivitäten oder Missbrauch beinhalten, mit Fallbeispielen aus Frankreich, Schweden, Finland und Neuseeland. Das Hauptziel eines Intimitätskoordinators ist es, einen sichere, respektvolle Umgebung bei der Arbeit an intimen Szenen zu gewährleisten und die damit verbundenen Risiken zu verringern. Zu Beginn des Prozesses werden der Kontext der Szene und das, was sie vermitteln soll, auf der Grundlage einer objektiven Bewertung definiert. Der Intimitätskoordinator fungiert als Dialogpartner der Regisseurin, um die Geschichte, die er erzählen möchte, möglichst sicher darzustellen.
In der abschließenden KBB-Runde versuchten Vertreter von St. Gallen und Malmö Lösungen aufzuzeigen, wie man mit dem Unvorhersehbaren umgehen kann und wie man Stress und Überstunden im Produktionsprozess besser bewältigen kann. Die Optimierung der Kommunikation des Managements in allen Abteilungen war ein zentrales Thema. Zu wissen, wann man "nein" zu etwas sagen muss, ist über alle Maßen wichtig. Die Malmöer Oper strebt an, dass nicht mehr als drei Produktionen gleichzeitig laufen, um sicherzustellen, dass das Personal fit und motiviert bleibt. Ein Beispiel für eine effiziente Kommunikation innerhalb des Unternehmens ist die strikte Zeiteinteilung des technischen Teams für jede Abteilung zu Beginn einer Produktion.
Parallel fand in Malmö auch das Treffen des Forums für Audiovisuelles und Digitales statt. Die Präsentationen drehten sich um neue Filmtechniken, die für ein intensiveres Erlebnis sorgen sollen. Der Schwerpunkt lag dabei auf der strategischen Platzierung von Kameras näher an der Bühne, ohne das Publikum und die Darsteller:innen zu stören. Zur Veranschaulichung dieser Techniken wurden Ausschnitte gezeigt, die eine Mischung aus Probeaufnahmen mit Kameras auf der Bühne und Live-Aufnahmen mit Kameras, die im Publikum platziert wurden, beinhalteten. Zwei Hauptthemen aus dem Bereich der digitalen Oper wurden ebenfalls erforscht: die Verwendung von speziellen Apps für das Publikum und das Konzept des Metaverse. Die Irish National Opera präsentierte die Isolde-App: eine Cloud-basierte Lösung zur Verwaltung und Synchronisierung gemeinsamer Audio- und visueller Erlebnisse für künstlerische Produktionen mit dem Ziel, die Oper für ein neues Publikum zugänglicher und offener zu machen. Dies leitete in eine weitere Schlüsselfrage über, wie man die Oper für junge Menschen attraktiver machen und auf ihre Interessen abstimmen kann. Mit dem Metaverse-Projekt sollte dies erreicht werden, indem ein spielähnliches Opernerlebnis geschaffen wurde, bei dem die 3D-Immersion im Vordergrund steht und nicht das traditionelle Streaming. Dieses Projekt soll Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt miteinander verbinden, um eine weltweite Resonanz zu erzielen. Es setzt personalisierte Avatare und einen interaktiven Live-Chat in einer unterhaltsamen einstündigen Oper ein, um jüngere Generationen anzusprechen und zu fesseln.
Die Herbstkonferenz war ein unbestreitbarer Erfolg. Im Laufe von drei sonnigen Oktobertagen besuchten insgesamt 380 Teilnehmer:innen 25 Sitzungen in zwei wunderschönen skandinavischen Städten. Wir wissen, wo wir stehen und welche Herausforderungen vor uns liegen. Wir sehen uns in Wien!